Auf einen Blick:
- Reisezeit: von 10. Februar 2019 (Tag 211) bis 28.02.2019 (Tag 229)
- Bis jetzt 7589 km geradelt
- Nizza - Tauf - Bald Sayt - Al Awabi - Rustaq - Fasah - Ibri - Al Ain
- Ca. 250 Euro ausgegeben (2 Personen)
Wir sind zurück in Muskat. Die zehnstündige Busfahrt von Salalah nach Muscat ist wider Erwarten schnell vergangen, die Räder mitzunehmen war kein Problem und obendrein hat das Ticket nur 15 Euro pro Person gekostet. Wenn es etwas Günstiges im Oman gibt, dann ist das der Sprit! Lediglich 50 Cent bezahlt man hier für einen Liter, dabei waren die Preise vor wenigen Monaten noch um die Hälfte niedriger. Immer müssen wir schmunzeln, wenn sich ein Omani bei uns über die hohen Spritpreise beklagt. Und das kommt nicht zu selten vor!
Wirklich teuer sind hierzulande Hotels. Die können wir uns in Muskat nicht leisten, deswegen campen wir ein paar Nächte an unterschiedlichen Stränden. Müssten wir nicht unser Visum für den Iran hier beantragen und uns um die Reparatur des defekten Kugellagers von Reinis Vorderrad kümmern, hätten wir die Stadt schnellstmöglich wieder verlassen. Muskat erstreckt sich über einen 60 Kilometer langen Küstenstreifen und ist folglich für Sightseeing mit Fahrrad und Zelt höchst ungeeignet. Um doch noch die wichtigsten Orte zu sehen, stellen wir für einen Tag unsere Räder samt Gepäck bei einem Haus ab und versuchen es mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Unser Versuch wird zum Chaos. Nur per Autostopp und der Hilfe von Omanis schaffen wir es in die Altstadt, zum Sultanspalast, zur Oper und zur Großen Sultans Moschee. Letztere ist wirklich sehenswert und Swarovski hat dem Prunk noch etwas mehr Prunk verliehen.
Im Bus nach Nizwa atmen wir erleichtert auf. Das Iran - Visum ist in der Tasche, der Vorderreifen zwar noch nicht repariert, aber wir sind weg aus Muskat. „Ich bin schon so gespannt, wie Ahmed lebt“, sage ich zu Reini. Der ehemalige Rennradprofi hat uns doch vor zwei Wochen zu sich nachhause eingeladen und nun kommen wir in wenigen Stunden in Nizwa an.
„Hi, I am Ahmed, Ahmeds friend!” Weil sich Rennrad-Ahmed um seine kranke Mutter kümmern muss, nimmt uns sein syrischer Freund Ahmed bei sich auf. Er und seine Frau Nirmeen sind schon vor Ausbruch des Syrienkriegs in den Oman gezogen. Manche Familienmitglieder sind noch in Syrien, andere in Schweden und Deutschland. Nirmeen hat ihre Familie seit über sieben Jahren nicht mehr gesehen, ihre drei Kinder Masa, Asam und Sham haben ihre Großeltern, Onkel und Tanten noch nie kennengelernt. So gerne würden sie ihre Familie in Europa besuchen, doch als syrische Staatsbürger haben sie keine Chance auf ein Schengen-Visum. Nirmeens Augen füllen sich mit Tränen, während sie mir ihre Geschichte im Damenzimmer erzählt. Nur wir zwei sitzen hier, die Männer sind im Nebenraum, im Herrenzimmer. Wir zeigen uns abwechselnd Bilder unserer Familien und ich schäme mich fast dafür zu sagen: „I miss my familiy too.“
Im Männerzimmer wird Reini für Photos in Pose gesetzt. „Ich möchte noch sechs Kinder bekommen“, erfährt Reini von Rennrad-Ahmed, der sich, zurück aus dem Krankenhaus, zu der Männerrunde dazugesellt. Reini wundert sich, schließlich ist unser sportlicher Freund doch schon stolzer Vater von neun Kindern. „Hier sagt man, dass viele Kinder viel Geld bringen. Aber meine Frau ist zu alt für weitere Kinder, ich brauche eine zweite Frau.“ Alles klar. Reini erzählt ihm, dass es in unserer Kultur nicht möglich ist, zwei Ehefrauen gleichzeitig zu haben. Ahmed fällt es sichtlich schwer das zu verstehen, denn was soll denn ein Mann tun, wenn er Sex haben möchte und die Frau ihre Periode hat?
Solche Momente sind gewaltig. Gewaltig erschreckend aber auch gewaltig lehrreich. Es gibt so viele Kulturen, Meinungen und andere Normen in der Welt, mit denen wir noch nie in Berührung gekommen sind. Zuhause bewegten wir uns in unserer sicheren Blase, umgeben von gleichgesinnten Menschen, deren Weltanschauung kompatibel mit der unseren ist. Niemals wären wir mit derartigen Aussagen, die aus tiefster Überzeugung gelebt werden, in Berührung gekommen. Und hier werden wir von Menschen, die in einer völlig anderen Wirklichkeit leben, eine Woche lang mit einer Selbstverständlichkeit verwöhnt und aufgenommen, als wären wir Teil der Familie. Die Wirklichkeit dieser Menschen schließt ein, dass Männer bis zu vier Frauen haben dürfen, dass Männer und Frauen vor der Hochzeit keinerlei Berührungspunkte haben, dass Ehen zum Großteil von den Familien arrangiert werden und dass Frauen ihr Gesicht mit Masken schmücken, um nicht von anderen Männern gesehen zu werden. Und obwohl unsere Wirklichkeiten nicht unterschiedlicher sein können, haben wir alle etwas gemeinsam – den Wunsch nach einem respektvollen und friedlichen Miteinander. „All I want is peace“, wiederholt Ahmed immer wieder.
Während wir mit großer Skepsis auf die Omanische Kultur blicken und es uns schwer fällt, der unterschiedlichen Stellung von Mann und Frau etwas Positives abzugewinnen, erfahren wir von unseren osmanischen Freunden größten Respekt gegenüber unserer Kultur: Wir dürfen in einem Zimmer zusammen schlafen, ich darf bei den Grillabenden, an denen sich sonst nur Männer treffen, mit dabei sein und ich kann mich mit den Männern unterhalten, während sie mir mit Respekt gegenübertreten, so wie ich das eben auch tue. „We know your culture, that´s why it´s okay for us.“ Sie wissen viel über unsere Kultur, aber wir wussten wenig. Wir haben Vorurteile, sie aber nehmen Rücksicht auf unsere Gewohnheiten. Da gibt es so viel zu lernen.
Nach fünf unvergesslichen Tagen in Nizwa, verlassen wir mit Tränen in den Augen Ahmed aus Syrien, Nirmeen und ihre drei Kinder. „Please stay for ever“, schluchzt Nirmeen.
Wir radeln weiter, immer tiefer ins Hajar Gebirge. Und da gibt es eine besondere Route, auf die wir ein Auge geworfen haben. Will man das Hajar Gebirge überqueren, gibt es nur diese eine Möglichkeit. Doch diese Straße ist unter Radreisenden als „unfahrbar“ verschrien und gefürchtet, besonders wenn man das Gebirge von Norden nach Süden, also von Rustaq nach Nizwa, überqueren möchte. Weil wir aber bereits im Süden sind, wollen wir es von der vermeintlich einfacheren Seite versuchen.
Der Aufstieg auf knappe 2000 Meter ist asphaltiert und laut Höhenprofil verhältnismäßig flach, im Vergleich zu dem, was uns bei der Abfahrt auf der anderen Seite des Berges erwarten wird. „Easy“, denken wir uns, „1400 Höhenmeter schaffen wir locker.“ Auf schmerzliche Weise müssen wir jedoch lernen, dass 1400 Höhenmeter nicht gleich 1400 Höhenmeter sind. Ist es überhaupt erlaubt, Straßen mit solchen Steigungen zu bauen? Ich bündle all meine Kraft und trete das ganze Gewicht von mir und meinem Fahrrad eine Serpentine nach der anderen den Berg hinauf. Ein Blick nach vorne verrät mir, dass selbst Reini schon ins Schwitzen gekommen ist. Na immerhin. Ich beginne daran zu zweifeln, ob die Abfahrt auf der anderen Seite des Berges überhaupt fahrbar ist, wenn das vermeintlich flache Stück schon so unfassbar steil ist. Die letzten Serpentinen wechsle ich zwischen schieben und fahren, schieben und fahren, stehen bleiben und schnaufen, schieben und fahren. Als wir den Bergrücken erklimmen, steht uns die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Geschafft! Und die Belohnung ist ein Zeltplatz mit gigantischer Aussicht. Gutes Gefühl.
Was die nächsten zwei Tage passiert, kann ich nur schwer in Worten wiedergeben. Obwohl es die anstrengendsten Tage unserer bisherigen Reise sind, sind es gleichzeitig auch die naturgewaltigsten. Dass das Hajar Gebirge eine Schönheit ist, hatten wir bereits vermutet. Aber dass es solche Ausmaße annimmt, haben wir nicht zu träumen gewagt. Hinter dem Bergrücken beginnt die Schotterpiste, die uns ins nächste Tal führen wird. Alle 20 Meter müssen wir stehen bleiben und schauen. Einfach nur schauen und diese Szene tief einatmen. Gibt´s denn sowas? Majestätisch und vor allem mächtig erstreckt sich ein Weitblick vor unseren Füßen, der seinesgleichen sucht. Unberührte, wilde Natur, schroffe Gipfel und steile Wände. Unberührt ist zwar leider nicht ganz richtig, denn auf der gleichen Route können auch geländegängige Fahrzeuge fahren, allerdings gibt uns der Ausblick das Gefühl, in die einsame Wildnis vorzudringen. Unser Abenteuerherz schlägt höher. Es folgt eine Abfahrt, bei der ich zu 90 Prozent schiebe und Reini mit beiden Bremsen festgezogen langsam runterschlittert. Nach nur 16 (!!) Kilometern und 1200 Höhenmetern bergab (!!), schlagen wir erschöpft das Zelt auf. Am nächsten Morgen habe ich einen so starken Muskelkater wie schon lange nicht mehr. Was für eine Strecke!
Als wir gestern Nacht im Zelt gelegen sind, hat Reinis Handy geklingelt. Eine Nachricht von Sami, den wir vor fünf Wochen bei der Einsturzdoline kurz getroffen haben. Immer wieder hat er uns geschrieben und uns zu sich nachhause eingeladen. Doch sein Dorf liegt nicht auf unserer Strecke. Wir werfen einen Blick auf die Karte. „Wenn wir hier morgen die Abzweigung nach Rustaq nehmen, ist nicht nur die Strecke einfacher, sondern sie würde uns quasi direkt in Samis Dorf führen!“ Unsere Beine finden das Versprechen „einfachere Strecke“ besonders anziehend. „See you tomorrow, Sami!“, die Entscheidung ist einfach.
Es folgen zwei grandiose Tage mit Sami und seiner „Gang“ – seinen seit der Schulzeit bestehenden Freundeskreis. Jede freie Minute verbringen sie zusammen, spielen FIFA, grillen im Park und sparen das gesamte Jahr für einen gemeinsamen Urlaub im Ausland, das jährliche Highlight dieser lustigen Truppe. Sami ist Flugzeugingenieur, ein Freund arbeitet für eine Ölfirma, ein anderer als TV Moderator und Restaurantbesitzer. Sie sind alle um die 28 Jahre alt, verheiratet und jeder hat ein bis zwei Kinder. „Ich will nur eine Frau und maximal zwei Kinder!“ Wir staunen nicht schlecht. Sie repräsentieren die junge Generation, fänden es besser, wenn man Zeit hätte, seine Frau kennenzulernen, bevor man sie heiratet und wollen eine kleine Familie mit nur einer Frau. Bei der Verabschiedung einigen wir uns darauf, dass sie ihr nächster „Gang-Urlaub“ nach Salzburg führen soll. Das wird ein Fest!
Während wir die letzten Tage im Oman Richtung Grenze der Vereinigten Arabischen Emiraten radeln, denken wir noch einmal über die Situation im Land nach. In dem Schlaraffenland namens Oman kann man nach 20 Arbeitsjahren in Pension gehen, bekommt mit 18 Jahren ein Baugrundstück geschenkt und es gibt keinerlei Steuern. Das Öl und ein vom Volk verehrter Sultan, der von seinem Reichtum viel an seine Bürger weiter gibt, machen‘s möglich. Oman ist das 12. Land unserer Reise, aber das erste, in dem die Bevölkerung ihre politische Führung gutheißt! „We live in paradise“, sind sich die Omanis über ihrer glücklichen Lage bewusst. Nicht vergessen darf man dabei allerdings die zwei Millionen Gastarbeiter aus Bangladesch, Indien und Pakistan, die hier ein weitaus weniger glanzvolles Leben führen.
Für uns Radreisende ist der Oman das Non-Plus-Ultra Reiseland. Wenig Verkehr, tolle Straßen, freundliche Menschen, Sicherheit, hervorragendes, vorwiegend indisches Essen und eine vielfältige Natur. Sogar einen Zeltplatz zu finden war noch nie so einfach wie hier. Die Omanis sind selbst leidenschaftliche Camper, verbringen gerne das ganze Wochenende am Strand und sind dabei so gut ausgestattet, dass ein deutscher Dauercamper vor Neid erblassen würde. Zelten ist hier überall erlaubt, völlig normal, ja, vielleicht sogar gern gesehen.
Bevor wir das Land Richtung Dubai verlassen, fegt uns ein heftiger Sandsturm über die Grenze. Aber dazu mehr beim nächsten Mal!
Kommentar schreiben
Josefine Nutz (Sonntag, 12 Mai 2019 19:24)
Vielen Dank für die wunderschönen Bilder! Wir freuen uns auf die nächsten Berichte. Herzliche Grüße aus Saalfelden, Josy und Willi Nutz
Viktoria (Montag, 13 Mai 2019 18:50)
Soooooooo schönen und sooooooo spannend.viel Glück weiterhin.......
Viktoria
Peter Moser (Dienstag, 14 Mai 2019 14:12)
Hi, Ihr Beiden,
wieder ein suuuuuper Bericht und tolle Fotos.
Weiterhin wünsche ich Euch eine gute Zeit, viel Spaß und schönes Wetter !!
Liebe Grüße, Peter