Auf einen Blick:
- Tage 23 - 30
- Donji Miholjac – Papuk Naturpark – Osijek – Orašje
- bis jetzt 1444 km geradelt
- in Kroatien haben wir 101,78 Euro ausgegeben
Wir wachen an der Drau auf, die Morgensonne setzt das ungarische Ufer des Grenzflusses idyllisch in Szene. Ein Fischer hat bereits seine Angelrute ausgeworfen und genießt die morgendliche Ruhe. Auch wir genießen den Moment und sind mächtig stolz, bereits bis nach Kroatien geradelt zu sein.
Zu schaffen machen uns jedoch die Temperaturen, bereits ab 9 Uhr wird die Sonne unerträglich heiß. Das Zeltabbauen wird zum Hochleistungssport, das merken wir heute Morgen vor allem an der Stimmung. Genervt von der Hitze, vom Schwitzen und dem Sand, der überall kleben bleibt, packen wir unsere Räder auf. „Lächeln!“ ruft mir Reini entgegen. Ich ziehe meine Mundwinkel gequält nach oben und entgegne mit sarkastischem Unterton „ich liebe es, wie ein paniertes Wienerschnitzel bei 40 Grad in der Sonne zu braten! Toll ist das!“ Wir beschließen, nackt baden zu gehen ist die einzige Erlösung – hebt die Stimmung und kühlt den Kopf. Auch wenn die Drau zu warm ist, wir genießen es und der Fischer möglicherweise auch ;)
Donji Miholjac ist die erste kroatische Stadt nach dem Grenzübergang. Wir wechseln ein paar Euro in kroatische Kuna, kaufen Essen ein und suchen nach einem Brunnen. „No water!“ ruft uns jemand entgegen. „Come with me and water is free!“ Spitze, diese Einladung nehmen wir gerne an und folgen den beiden zu ihrem Haus. Roberto und sein Sohn Philipp leben an der Küste, aber sie sind momentan zu Besuch bei den Schwiegereltern. Er bringt uns kühlschrankkaltes Wasser, einen Sack frisch geernteter Birnen (schmecken die himmlisch!) und vor lauter Plaudern verlieren wir das Zeitgefühl. Wir lernen seine Frau und seine Schwägerin kennen, tauschen Nummern aus und schießen Erinnerungsfotos. So verrückte Menschen wie uns hätten sie noch nicht kennengelernt. Und wir selten so herzliche wie sie. „We are real hard rocker“ erzählen uns Roberto und Philipp noch zum Abschied und schwärmen von ihrem letzten gemeinsamen Iron Maiden Konzert. Jetzt müssen wir aber los, es ist schon nach 13 Uhr!
Wir radeln durchs Nirgendwo. Kerzengerade Schotterpisten quer durch dichte Wälder. Bei jeder kleinsten Ansiedelung bleiben wir stehen und fragen nach „Voda“. Jeder nimmt unsere leeren Flaschen mit einem großen Lächeln entgegen. Auch wenn wir außer „Wasser“ und „Danke“ nicht kommunizieren können, vermitteln uns die Menschen das Gefühl, glücklich darüber zu sein, uns helfen zu können. Wir sind verliebt und radeln seit wir Robertos Familie getroffen haben mit rosaroter Brille durch Kroatien, die mit jeder weiteren Begegnung noch rosiger wird.
„Geological Park“ steht auf einer riesen Tafel aus Stein. Wir sind da! Reini hat auf der Landkarte den Papuk Naturpark entdeckt und wollte unbedingt den Umweg in Kauf nehmen und hier her radeln. „Dort gibt es Basaltsäulen!!“ versuchte er mich mit einem Funkeln in den Augen von der Idee zu überzeugen. Auch wenn es mir immer noch schwer fällt, Reinis Begeisterung für Steine zu teilen, will ich ihm die Freude natürlich nicht nehmen. Jetzt stehen wir vor der Einfahrt in den Park (oder besser gesagt vor einem Berg), den wir einmal durchqueren wollen. Obendrüber versteht sich – die ersten richtigen Höhenmeter warten also auf uns. Wider Erwarten ist die gesamte Passstraße aus Schotter. Es ist bereits spät, unsere Beine haben schon knappe 70 km abgestrampelt, aber heute sind wir topmotiviert. Die bevorstehende Straße fühlt sich fast so an wie eine Prüfung, die man nach intensiver Vorbereitung endlich hinter sich bringen möchte. Um die Spannung, ob unsere Beine das heute noch schaffen, zu steigern, schnallt sich Reini noch einen randvoll angefüllten 10 Liter Wassersack auf den Gepäcksträger. Es kann also losgehen!
Das Bergauffahren fühlt sich gut an. Richtig gut. Wir schwitzen, sogar am Handrücken drückt es uns den Schweiß aus den Poren. Die Glücksgefühle schwappen über, als wir nach ein paar wenigen hundert Höhenmetern den Wasserfall zu Gesicht bekommen. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Besucherzentrum. Trotz der „Zelten verboten“ Schilder hat die nette Dame vom Besucherzentrum, das auch ein Hotel ist, nichts dagegen, dass wir auf der großen Wiese vorm Haus eine Nacht zelten. Sie zeigt uns sogar noch die Toiletten und flüstert uns mit einem Augenzwinkern ins Ohr: „Falls euch die Park-Rangers ansprechen – ich weiß von nichts!“ Den gelungenen Anstieg, die vielen Kilometer und den traumhaften Zeltplatz feiern wir mit einem kalten Bier!
Pünktlich um 8 Uhr, bevor die Park-Ranger ihren Dienst beginnen, ist das Zelt abgebaut. Die Beine sind müde von der gestrigen Anstrengung und die ersten Höhenmeter richtig hart. Heute geht es noch mal 4 km lang bergauf, dann haben wir den höchsten Punkt der Passstraße erreicht. Der Schotter wird jedoch immer schlechter, die letzten Meter bewältige ich nur mehr schiebend. Sogar Reini muss zwischendurch absteigen, weil die Straße mit unserem Gepäck nicht mehr befahrbar ist. Am Pass angekommen, gibt es außer ein paar Waldarbeitern nichts zu sehen. Erschöpft essen wir unsere letzten Vorräte auf und rollen wegen der schlechten Straßenverhältnisse mit enttäuschenden 10 km/h den Berg auf der anderen Seite wieder runter. Bevor wir wieder in die Zivilisation zurückkehren, nutzen wir den glasklaren Wildbach um uns und unsere Kleidung zu waschen. Da kommen neue Lebensgeister auf, herrlich!
Durch ein wunderschönes Weingebiet geht es bis zu unserem nächsten Ziel: Camp Borovik am Borovik See. Anstatt eines üblichen Campingplatzes (Google hat uns zu verstehen gegeben, hier sei ein „normaler“ Campingplatz) entpuppt sich das „Camp Borovik“ mehr als „Abenteuerspielplatz am See“ – mit Bier, Cevapcici und einem Klo, aber ohne Trinkwasser oder Duschen. Hier kann jeder sein Zelt aufstellen ohne zu zahlen und bleiben, so lange er möchte. Zuerst sind wir etwas irritiert, verlieben uns aber schnell in das Hippie-Leben, das hier einige zu führen scheinen und beschließen, drei Nächte zu bleiben und uns auszuruhen. Kein Handyempfang, keine Dusche, keine Ortschaft. Nur wir , ein paar wenige andere Menschen, der See und Nichts.
Weil hier nichts ist, müssen wir unsere Essensvorräte genau portionieren. Abends gönnen wir uns Bier und Cevapcici, was anderes wird auch nicht angeboten.
Heute ist Samstag und je tiefer die Sonne wandert, desto mehr Menschen trudeln ein. Zum Biertrinken. Mittlerweile haben wir gelernt, dass Bier in Kroatien zum (oder als?) Frühstück, zu Mittag und Abends getrunken wird. Zur Desinfektion gibt´s zwischendurch ein paar Runden Rakija. Weil heute Samstag ist, wird auch der beliebteste Wein der Region serviert – Grasevina aus Kutjevo. Es dauert nicht lange, werden wir schon zum Stammtisch gewunken und zu Grasevina, Rakija und Mitternachtsjause eingeladen. So sitzen wir leicht betrunken mit dem „Herrn Doktore“, dem Physiotherapeuten vom Onkel meiner Freundin Ivi (was für ein Zufall!?) und dem „Nikolaus“ (er sieht aus wie das Original!!) auf einem Tisch und verabreden uns zum Frühstück, zu dem der Herr Doktore selbstgemachte Kulen (eine Wurst aus Schweinefleisch) mitbringen wird. Eine verrückte, feucht-fröhliche Truppe, an die wir uns noch lange erinnern werden. Und auch an den Schnaps zum Frühstück, den wir selbst zwei Tage später noch spüren.
Schweren Herzens packen wir unsere sieben Sachen und fahren weiter. Beim Weiterfahren denken wir über all die tollen Begegnungen nach, an die vielen Menschen, die uns mit Wasser, Limonade oder Obst beschenkt haben, um uns in der Hitze etwas Gutes zu tun, über die Herzlichkeit und die Hilfsbereitschaft die uns mit einer Selbstverständlichkeit entgegengebracht wurde, dass wir uns manchmal selbst zwicken mussten, um sicherzugehen, nicht zu träumen. Für uns hat sich Kroatien als das perfekte Radreiseland präsentiert und wir sind uns einig, dass wir hier nicht das letzte Mal waren.
Wir bleiben zwei Nächte in Osijek, übernachten dort im Zelt direkt an der Drau. Über Vinkovci geht es weiter über die Grenze nach Orašje/Bosnien und Herzegowina. Wir haben das 5. Land unserer Reise erreicht und in nur 10 km Entfernung liegt das Heimatdorf meiner Freundin Ivi. Mein Puls steigt. Seit 18 Jahren sprechen wir davon, dass ich im Sommer einmal mit ihr nach Kopanice fahren werde. Und jetzt soll es soweit sein. Ivi, halt dich fest, wir kommen!!!
Kommentar schreiben
Martin_ Seekirchen (Donnerstag, 23 August 2018 21:16)
Ich finde es großartig was Ihr macht, es ist eine Lebenserfahrung der ganz besonderen Art, ich lese Euren Blog mit Begeisterung und freue mich schon auf den nächsten Teil, Hut ab vor eurem Mut und der Leistung.
Michl (Donnerstag, 23 August 2018 21:43)
Die Story erinnert mich an eine Übernachtung etwas weiter östlich von Osijek, schon im heutigen Serbien: Zum Frühstück gab es 1 Slibo + 1 türkischen Kaffee (auch in der Größenordnung eines Stamperls), sonst nix.
Und um 06:00 Uhr ab in die Arbeit.
Irgendwas habt ihr falsch gemacht, wenn ihr den Schnaps noch nach 2 Tagen gespürt habts :-))
Gudrun (Montag, 27 August 2018 14:07)
Danke liebe Angelika und Reini für die spannenden Berichte Eurer großen Reise.
Ich lese sie ganz andächtig, fast wie gute Nacht Geschichten. Weiterhin alles Gute.